Eine unter Beteiligung von Herrn PD Dr. Thorsten Braun in Nature Microbiology publizierte internationale Studie hat ergeben, dass bei unauffälligen Schwangerschaften das Mikrobiom des Darmes bei Menschen eben nicht bereits intrauterin sondern erst bei bzw. nach der Geburt entsteht.
„Wird der Mensch mit seinem Mikrobiom geboren?“
Darmmikroben beeinflussen unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden während des gesamten Lebens. Neuste Daten deuten darauf hin, dass im Neugeborenen- und Kleinkindalter in kritischen Stadien der immunologischen und physiologischen Entwicklung die Darmpassage eine besonders wichtige Rolle einnimmt. Um zu verstehen, wie Darmmikroben in diesen frühen Entwicklungsphasen Einfluss nehmen, ist es wichtig zu wissen, zu welchem Zeitpunkt des Lebens die erste Besiedelung des Darmes mit Mikroben stattfindet.
Jüngste Studien haben Kontroversen ausgelöst, da behauptet wurde, dass der Darm bereits vor der Geburt von Bakterien besiedelt sei. Diese Studien weisen allerdings zahlreiche methodische Mängel durch Störfaktoren auf, die eine postnatale Besiedelung nicht sicher ausschließen.
Wir vermuten daher, dass viele dieser Studien eine Kontamination nicht kontrollieren oder ausschließen konnten. Im Rahmen einer internationalen Kooperation der Charité – Universitätsmedizin Berlin (Klinik für Geburtsmedizin, Abteilung für 'Experimentelle Geburtsmedizin', dem Institut für Mikrobiologie, Infektionskrankheiten und Immunologie, dem Labor Berlin Charité Vivantes GmbH) und der McMaster University Hamilton Kanada (Abteilung für Pädiatrie und Biochemie), wurden strenge Methoden zur Kontrolle der Umgebungskontamination entwickelt, um zu testen, ob der fetale Darm tatsächlich vor der Geburt bereits besiedelt wird.
In unserer Studie konnten wir keine Hinweise auf eine vorgeburtliche Besiedlung des Darmes feststellen, was darauf hindeutet, dass das Mikrobiom des Darmes tatsächlich erst bei bzw. nach der Geburt entsteht.
Methodik der aktuellen Studie:
1. Verunreinigungen reduzieren
Erster Schritt war die Entwicklung eines Probenentnahmeprotokolls, das eine Kontamination der Proben ausschließen konnte. Um eine mögliche Besiedelung durch vaginale Mikroben der Mutter zu vermeiden, wurden fetale Mekoniumproben (pränataler Stuhl) bei elektiven Kaiserschnitten gesunder Mütter aus Beckenendlage entnommen. Die Kontamination durch Hautmikroben der Mutter während der Kaiserschnittgeburt wurde durch das Anwenden einer speziellen chirurgischen Abdeckungen sowie einer erweiterten Desinfektion des Operationsgebietes minimiert. Durch Probengewinnung bei Beckenendlagengeburten konnte Mekonium gesammelt werden, bevor die Babys vollständig aus der Gebärmutter geboren wurden. Dadurch wurde eine Besiedelung der Proben durch die Umgebung oder gar den Operateur ausgeschlossen. Diese Proben wurden mit Mekoniumproben von vaginal geborenen Neugeborene und mit Stuhlproben von Kleinkindern verglichen.
2. Kontrolle auf Kontamination
Grundsätzlich kommen kontaminierende Bakterien und bakterielle DNA überall in der Umgebung und in Aerosolen vor, so dass eine Kontamination von Proben kaum vollständig vermieden werden kann. Eine vollständige aseptische Technik ist daher kaum realistisch. Stattdessen müssen die Proben direkt mit den bei jeder Kontaminationsmöglichkeit entnommenen Negativkontrollen verglichen werden. So wurden Negativkontrollen sowohl bei der Probenentnahme, der DNA-Extraktion als auch der Markergenamplifikation (16S RNA) gesammelt und mit Zellkulturergebnissen verglichen.
3. Kontrolle für das Hintergrundrauschen bei der Sequenzierung
Proben mit geringer Biomasse sind besonders anfällig für die Sequenzierung von „Rauschen“ oder Fehlern. Dies gilt insbesondere für die Sequenzierung mit gemischter Biomasse, da reichlich vorhandene mikrobielle Signale von Proben mit hoher Biomasse in Proben mit niedriger Biomasse (wie Mekonium) fälschlicherweise auftreten können. Um hierfür zu adjustieren, wurden zwei unabhängige Sequenzierungsläufe für alle Mekoniumproben analysiert. Wenn eine Mikrobe nur für einen dieser beiden Sequenzierungsläufe in einer Probe auftaucht, ist dies wahrscheinlich auf Sequenzierungsrauschen zurückzuführen und stellt kein „echtes“ Bakteriensignal dar.
Schlussfolgerung
Die Wissenschaft wird als selbstkorrigierend angesehen, wobei falsche Ergebnisse als „nicht reproduzierbar“ eingestuft werden. Wenn der falsche Befund jedoch auf systemische experimentelle Fehler zurückzuführen ist, erscheinen die Befunde reproduzierbar, wenn die systemischen Fehler wiederholt werden. Dies scheint in Studien zur intrauterinen Kolonisierung der Fall zu sein, da die unzureichende Verwendung geeigneter Kontrollen eher die Regel als die Ausnahme darstellt.
Anders formuliert: "Die Wissenschaft schreitet schneller voran, wenn Menschen weniger Zeit damit verschwenden, falsche Hinweise zu verfolgen." (Nature, Challenges in Irreproducible Research Special).
Unsere Studie zeigte, dass
1) strenge experimentelle Methoden mit robusten Kontrollen für die Erstellung hochzuverlässiger, reproduzierbarer robuster Daten von entscheidender Bedeutung sind, und
2) dass wir nicht vor der Geburt bei unauffälliger Schwangerschaft mit Mikroben kolonisiert werden. Vielmehr entsteht unsere Beziehung zu unseren Symbionten nach der Geburt, was sie nicht nur anfällig für frühe Umwelteinflüsse macht, sondern auch ein Fenster für mögliche Interventionen bietet.
Links
https://dx.doi.org/10.1038/s41564-021-00904-0
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